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Förderzeitraum: 1. März 2011 bis 31. Juli 2013
Projektleitung: Prof. Dr. Ingrid Tomkowiak
Projektmitarbeiterinnen: Christine Lötscher, Petra Schrackmann, Aleta-Amirée von Holzen
Das Projekt wird in Kooperation des Instituts für Populäre Kulturen mit dem Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM, Assoziiertes Institut der Universität Zürich, durchgeführt.
Virulente kulturelle und gesellschaftliche Diskurse werden auch in populären Kinder- und Jugendmedien geführt. Insbesondere die derzeit generationenübergreifend boomende fantastische Kinder- und Jugendliteratur und ihre Verfilmungen sind Schauplatz von Verhandlungen. Übergänge und Entgrenzungen in Bezug auf Welt, Wissen und Identität spielen dabei auf verschiedenen Ebenen und in vielfältiger wechselseitiger Beeinflussung eine zentrale Rolle. Inszeniert werden Übergänge zwischen naturgesetzlich-„realistischen“ Welten und fantastischen Universen, die sich bis zur Entgrenzung in Multiversen steigern können. Die Grenzen zwischen Buch- und Erfahrungswissen, Schul- und sozialem Wissen, Herrschafts- und okkultem Wissen werden unterlaufen und aufgelöst. Übergänge und Grenzauflösungen lassen sich auch bei der Identitätskonstruktion, -findung und Entwicklung von Figuren beobachten. Die fiktionalen Welten, das Wissen, das in diesen und über diese Welten vermittelt und erfahren wird, und die Figuren, die sich in diesen Welten bewegen und dafür das genannte Wissen benötigen, verschränken sich in vielfältiger Weise. Entworfen werden hybride Zonen der Autonomie, die gelesen werden können als Gegenentwürfe zum herkömmlich vermittelten Verständnis von Welt, von Wissen und von Identität. Die fantastischen Elemente dienen dabei der Sichtbarmachung gesellschaftlicher Diskurse und der Ausgestaltung komplexer physischer und psychischer Prozesse sowie abstrakter Denkfiguren. Die Thematisierung und Gestaltung von Weltentwürfen und Weltenwechseln, der Topos des magischen Buchs im Buch sowie Heldenfiguren, die durch eine Maske eine multiple Identität erhalten, bilden die drei Fokussierungspunkte des Projekts.
Im ersten Projektteil soll untersucht werden, wie das Fantastische in Verfilmungen von Kinder- und Jugendliteratur seit 2001 umgesetzt wird. Ausgehend von der Annahme, dass Fantastisches besonders an Übergängen zwischen den dargestellten Welten und Wissens- und Identitätszuständen sowie durch die Thematisierung der Konstruktion von Welt(en) und deren Gesetzmässigkeiten fassbar wird, wird das Fantastische in den literarischen Vorlagen und deren filmischen Adaptionen vergleichend untersucht. Anhand der Auslassungen, Ergänzungen, Umwertungen und Neuinterpretationen, welche die Werke beim Medienwechsel erfahren, werden Tendenzen der neueren Fantasyfilme herausgearbeitet (auch im Vergleich zu früheren Adaptionen ähnlicher/derselben Stoffe) und damit in Zusammenhang stehende sozio-kulturelle Phänomene und Diskurse aufgezeigt.
Das Motiv vom magischen Buch im Buch, Gegenstand der Analyse im zweiten Projektteil, inszeniert die gesellschaftlichen und medialen Diskurse rund um das Ende der Schriftkultur und die neuerliche Pädagogisierung des Lesens, wobei diese in fantastischen Kinder- und Jugendromanen der letzten zehn Jahre besonders deutlich sichtbar werden. Vordergründig der Tradition der deutschen Romantik folgend, wird das Buch mit magischen Kräften aufgeladen, deren Einzigartigkeit sich in der entgrenzenden Kraft des Wissens und der Erfahrungsräume manifestiere, die dieses Medium ermögliche. Zahlreiche Widersprüche beherrschen diese Diskurse, historisch gehen sie auf das Spannungsverhältnis von aufklärerischer Pädagogik und romantischem Kindheitsbild zurück. Romane, die das Lesen von Büchern vordergründig mystifizieren, schreiben unterschwellig eine fantasiekritische Tradition fort.
Der Figurentypus des „maskierten Helden“, im Fokus des dritten Projektteils, entgrenzt die Vorstellung einer einheitlichen Identität, indem er sich mithilfe einer Maske zwei Identitäten schafft und diese aufrechterhält, wobei erst diese Zweiteilung den öffentlichen Gebrauch der fantastischen Fähigkeiten des Helden erlaubt, die jedoch vor dem sozialen Umfeld geheim gehalten werden. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob sich diese Thematisierung von Identität als Ausdruck von modernen bzw. postmodernen Identitätskonzepten, die durch Entgrenzung und Transgression geprägt sind, verstehen lässt.
Das Projekt leistet einen Beitrag zur Bestimmung der kulturellen Bedeutung des Fantastischen. Es soll herausarbeiten, wie fantastische Geschichten (als Roman, Fantasyfilm und Comic) Bilder des 20. und begonnenen 21. Jahrhunderts von Welt und Subjekt, Realität und Fiktion thematisieren, Identitätsdiskurse narrativ umsetzen und wie sie sich zum Medienwandel stellen. Die Entwicklung und Identitätsfindung von Protagonist/innen der fantastischen Kinder- und Jugendliteratur sollen in einen theoretischen und historischen Zusammenhang gestellt werden, der neue Schlüsse auf die Funktion des Fantastischen zulässt. Das Projekt stellt ein Instrumentarium für die weitere Analyse fantastischer Geschichten in verschiedenen Medien und Ansatzpunkte für deren kontextualisierende Interpretation bereit, die in Lehre und Forschung genutzt werden können.